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Aktuelle Nachrichten | Keßler, Bettina | 22.03.2023 – 11.04.2023

Promenaden auf den Spuren einer verwandten Seele

Hölderlinhaus: Claudia Burris‘ Klavierabend „Hölderlin – Stationen eines Lebens“

Die Komponistin und Pianistin Claudia Burris spielte am 20. März "Hölderlin - Stationen eines Lebens" im Lauffener Hölderlinhaus.
Die Komponistin und Pianistin Claudia Burris spielte am 20. März "Hölderlin - Stationen eines Lebens" im Lauffener Hölderlinhaus.

„Gestern schon, und heute wieder: Ein unerklärlicher Ansturm auf Hölderlin“ - beglückt und erstaunt über diesen offensichtlich unerwarteten Ansturm ist nicht nur Eva Ehrenfeld, die Leiterin des geschichtsträchtigen Hauses, auch die zahlreichen Gäste, die sich zu Hölderlins 253. Geburtstag im Hölderlinhaus eingefunden und einen Platz ergattert hatten, plaudern angeregt vorfreudig.

Weniger amüsiert waren hingegen Kurzentschlossene, die leider wieder nach Hause geschickt werden mussten, da die Kapazität des Saales, wie schon am Vortag, ausgereizt war; allerdings konnte das Publikum der sonntäglichen Vernissage-Matinee vom Saal in den sonnenwarmen Innenhof ausweichen oder entlang der rund 30 Exponate der Künstlerin Ursula Stock, durchs Haus promenieren. Die Ausstellung „Hölderlin – Corona Extra“ stand auch den Gästen des Abendprogramms offen, allerdings erst nach dem Konzert und dem traditionellen Anschnitt der opulenten Geburtstagstorte.

„Hölderlin - Stationen eines Lebens“ nennt Claudia Burris ihren Klavierzyklus. Schon seit ihrer Jugend sei sie von Hölderlin fasziniert gewesen, habe über Jahre immer wieder Orte seines Wirkens bereist und begonnen, dabei einzelne musikalische Motive zu notieren. So habe sich, quasi aus dem Nirgendwo, das Lokalkolorit mit wenig Tönen in einen atmosphärischen Klang verwandelt.

Musikalisch angesiedelt zwischen Franz Schuberts Liederzyklen und Eric Saties minimalistischen Stücken (Gymnopédies und Gnossiennes) sind 15 Miniaturen entstanden. Erst im Nachhinein sei ihr klar geworden: „Wie sehr meine ganze Musik dem Hölderlin’schen Schwingungsfeld verbunden ist“.

Auf den Spuren des Seelenverwandten öffnet sich der Vorhang dieser musikalisch biografischen Reise mit einem „Nachruf“ und schließt sich nach 14 Stationen mit eben diesem. „Frohmut“, „Erste Schritte in die Welt“ und „Aufbruch und Fehlschlag“ – jede der Episoden wird durch einen Text eingeleitet, den die Burris, Komponistin, Pianistin und Vorleserin in Personalunion, vorträgt.

Rastlosigkeit versinnbildlicht in Taktwechseln von drei Achteln zu zwei Achteln, Hölderlins erste Veröffentlichungen (1792 im Schwäbischen Musenalmanach) und dem „Hyperion“ in den folgenden Jahren – mit kräftigen Akkorde vom Pedal unterstützt, wird Aufbruchstimmung und Zuversicht suggeriert. Von Schiller und Goethe nicht beachtet, ist das für den jüngeren Hölderlin eine Zerreißprobe, er empfindet es als persönlichen Fehlschlag, der sich musikalisch in Dissonanzen Luft macht.

„Wir versammelten uns wöchentlich einmal des Donnerstages bei einem Becher Weine oder Bier, und da musste jeder ein Gedicht (s)einer Muse vorlesen, das er den Tag zuvor jedem der Gesellschaft schriftlich übergeben hat. Frei zu urtheilen war jedem erlaubt, ja, es war erste Pflicht.“ Ein geselliges Miteinander, Kritik zur Bildung von Urteilskraft als erste Bürgerpflicht? Wenn Hölderlin selbst spricht, wie hier aus dem Alltag des Tübinger Stifts berichtet, fühlt man sich dem Lyriker sehr nah. „Begegnungen lösen Bewegungen aus“ sinniert Hölderlins Seelenverwandte Burris. Auch ein Gedanke, der nachhallt.

Text und Foto: Leonore Welzin