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Aktuelle Nachrichten | Keßler, Bettina | 29.09.2025

Nur der Stammtisch kann uns noch retten!

Kabarettist Mathias Tretter deckt unterhaltsam die Gründe auf, warum unserer Demokratie die Luft ausgeht

Der Kabarettist Mathias Tretter spielt sein aktuelles Programm "Souverän" im Klosterhof
Der Kabarettist Mathias Tretter überzeugte "souverän" sein Publikum mit seiner intelligenten Mischung aus deutscher Tagespolitik, Weltpolitik und Alltagsgeschichten. (Foto: Bettina Keßler)

Am Anfang steht der Neustart: Zumindest bei gefühlt jeder einzelnen Bundesregierung in den letzten Jahrzehnten, meint der Kabarettist Mathias Tretter bei seinem Solo unter dem Titel „Souverän“, das er vor dem gut besuchten Klosterhof am vergangenen Donnerstag präsentierte. Und fügt süffisant wortspielerisch an: „Wenn der Merz den Reformherbst ausruft, könnte es auch ein Aprilscherz sein.“ Und trifft damit gleich zu Anfang den Nerv des Publikums, das Tretter auch in den kommenden zwei Stunden aufmerksam folgt. Muss es auch, denn das Tempo, in dem der Kabarettist seine scharfsinnige und gleichzeitig (wahn-)witzige Analyse unserer Weltgesellschaft losfeuert, ist atemberaubend.

Tech-Imperatoren

Dabei spießt er genüsslich auf, was ihm Sorge bereitet. So wie die um sich greifende „Winner-takes-all“-Ökonomie von Amazon, Google, Meta und X, die auch vor der Kultur nicht halt macht. So haben nämlich auch Adele, Ed Sheeran oder Taylor Swift nicht einfach nur Fans, sondern mindestens ein eigenes Stadion oder gleich ein eigenes „Volk“: die Swifties. Erfolg erzeugt Erfolg, diagnostiziert Tretter und offenbart den gleichzeitig belustigten und besorgten Zuhörern, dass sich Mark Zuckerberg gerne mit Kaiser Augustus vergleicht. Während für Larry Page, Jeff Bezos, und Elon Musk – oder Cäsar, Nero und Caligula – auch ein römisches Imperium noch zu popelig ist. Bezos und Elon wollen schließlich zum Mars, wo der Kampf um Rohstoffe durch „space mining“ einfach fortgesetzt wird.

Meinungsblasen

Währenddessen sorgen die Blasen der Tech-Imperatoren hier auf der Erde dafür, dass es keine echte Öffentlichkeit mehr gibt: Wo früher Bücher, Zeitungen, Radio und Fernsehen für ausgewogene und realitätsnahe Berichterstattung sorgten, sind heute nur noch Informationsblasen zu finden. Und bei 85 Millionen Blasen alleine in Deutschland ist es kein Wunder, wenn der Demokratie so langsam die Luft ausgeht.

Große Teile der Wirtschaft werden immer schamloser. Als Zeugen dafür zieht Tretter seinen fiktiven Ex-Klassenkameraden Randolph M. Kupsch hinzu: Seines Zeichens Investment Banker, der in Somalia sein Traumland gefunden hat. Einen „failed state“, dem es nicht mehr gelingt, die Grundbedürfnisse seiner Einwohner nach Sicherheit, Gesundheit und Wohlstand zu erfüllen. Eine Spielwiese für skrupellose Geschäftemacher: „Unbegrenzte Arbeitskräfte, Tretter“ so Randolph, und angesprochen auf die Menschrechtslage: „Ich verwalte 18 Milliarden, da kann ich mich nicht um jedes Detail kümmern“.

Fossilierte Gesellschaft

Doch nicht nur die unverschleierte Ausbeutung bringt Tretter zum Nachdenken. Auch gesellschaftliche Veränderungen werfen ihre Schatten voraus. Während Wirtschaftsministerin Reiche laut über die Rente mit 70 nachdenkt, ist Japan da schon weiter. In einem Land, in dem 92.000 Menschen über 100 Jahre alt sind, vergreist die Gesellschaft nicht mehr einfach „sie fossilisiert“. Werbung für Seniorenwindeln zur besten Sendezeit und Roboter als einzige Hoffnung in der Altenpflege sind nur zwei Belege dafür. Trotzdem hat Japan in den letzten Jahren nur 190 Asylbewerber aufgenommen. Tretter konstatiert: „Die Achse Deutschland – Japan ist ein Rollator: Hier die Überalterten, da die ewig Gestrigen“.

Kneipenschlägerei als immaterielles Welterbe

Natürlich bekommen auch die USA ihr Fett weg, wenn Tretter die Wahl zwischen Kamala Harris und Donald Trump als erste Pattsituation zwischen einem Blumenstrauß und einem Scheißhaufen beschreibt. Doch so weit weg muss er gar nicht gehen. Es reicht der Blick nach Ostdeutschland, wo in vielen Orten die letzte Dorfkneipe längst geschlossen hat und nur noch das AfD-Büro als einziges geöffnet ist. Und so kommt er schließlich zu einem Lob des früher so oft verteufelten Stammtischs: „Ich bin Komiker. Glauben Sie mir, ich weiß wie es ist, wenn jemand Blödsinn redet und jemand anderes ist dabei!“ Denn ob Klimakrise, Kriege, Rechtsruck, Künstliche Intelligenz, links oder rechts: Laut aktueller Studien wissen die Deutschen nicht einmal mehr, wofür die Parteien eigentlich stehen. Das Kreuzchen auf den Briefwahlunterlagen macht man so nebenbei und „aus dem Gefühl heraus“ statt aufgrund von konkreten Aussagen. Und so erwägt Tretter schließlich nicht nur die Kneipenschlägerei der Unesco als „immaterielles Welterbe“ vorzuschlagen, sondern verkündet: "Der Philosph Heidegger meinte: 'Nur Gott kann uns noch retten!'. Ich meine: 'Nur der Stammtisch kann uns noch retten!'“ Wenn man den begeisterten Applaus heranzieht, dann stimmte ihm das „bühne frei…“-Publikum hier voll umfänglich zu.

Text: Bettina Keßler