Collage von Fotos von Forschungsschiff, Astronaut und Solaranlage

Technik & Umwelt

elektrisch mobil ohne Auto?

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Profil des Wissenschaftlers

André Thess ist seit 2014 Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart und Direktor des Instituts für Technische Thermodynamik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Thess (*1964) promovierte an der Technischen Universität Dresden in Physik und arbeitete anschließend an Forschungsinstituten in Lyon, Grenoble, Dresden und im amerikanischen Princeton. Mit 34 wurde er Professor für Thermodynamik an der Technischen Universität Ilmenau.

Pressebericht

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bild der wissenschaft interviewt ...

Schön, aber wirkungslos

Die aktuelle Aufregung um die E-Mobilität ist sinnlos, meint der Direktor des Instituts für Technische Thermodynamik André Thess. Die Weichen für eine nachhaltige Energieversorgung werden anderswo gestellt.

 

Als wir Sie Anfang 2016 zum Stand der Energiewende befragten, antworteten Sie: „National ist gut, doch das reicht nicht. Wir müssen Maßnahmen rund um den Globus ergreifen.“ Inzwischen haben die Briten beschlossen, die EU zu verlassen, und in den USA regiert Donald Trump. Was nun, Herr Prof. Thess?

Der Prozess, der mit der Klimakonferenz von Paris 2015 begonnen wurde, ist wichtig. Davon bin ich fest überzeugt. Wenn einzelne Nationen aussteigen, sollten wir uns nicht entmutigen lassen. Langfristig wird sich die Überzeugung durchsetzen, dass man weltweit Klimaschutz betreiben muss.

 

Bleibt uns noch die Zeit für eine längerfristige Umsetzung?

Ich glaube nicht, dass man auf diese beliebte Suggestivfrage eine sinnvolle Antwort geben kann. Ich gehe anders heran und sage: Erstens müssen wir Klimaschutz betreiben und Maßnahmen aktivieren, die technologisch auch möglich sind. Zweitens muss sich jeder Staat darüber klar werden, wie viel Prozent vom Bruttosozialprodukt er dafür investieren will. Klar ist für mich aber auch: Wirksamer Klimaschutz wird teuer.

 

Wie beurteilen Sie die Diskussion um Klimaschutz und Energiewende in der deutschen Öffentlichkeit?

Im Jahr 500 nach Martin Luthers Reformation beobachte ich mit Sorge: Wir weichen durch „Klima-Ablasshandel“ vom Pfad der Tugend ab – mit Maßnahmen, die schön aussehen, aber wirkungslos sind. Gerade hat die EU den Wasserkocher als neuen Feind auserkoren, dessen Leistung reduziert werden soll. Dabei weiß jedes Schulkind aus dem Physikunterricht, dass für die Erwärmung von einem Kilogramm Wasser von 20 auf 100 Grad Celsius genau 0,0929 Kilowattstunden nötig sind. Gemäß dem Ersten Hauptsatz der Thermodynamik spielt die Leistung dabei überhaupt keine Rolle. Statt Ablasshandel mit vermeintlich „grünen“ Wasserkochern zu betreiben, müssten wir weltweit dafür sorgen, dass die wesentlichen Wirtschaftssektoren dekarbonisiert werden. Wir könnten etwa den CO2-Emissionshandel weiterentwickeln oder die Förderung von kohlenstoffhaltigen Rohstoffen – Gas, Öl, Kohle und Kalk – mit einer CO2-Steuer belegen. Wenn wir das weltweit umsetzen, pflanzt sich das Preissignal durch die gesamte wirtschaftliche Wertschöpfungskette fort. Dann brauchen wir auch niemanden mehr, der sich Gedanken über die Leistungsbeschränkung von Staubsaugern oder Wasserkochern macht.

 

Sie glauben wirklich daran, dass sich eine CO2-Steuer weltweit realisieren lässt?

Gas, Öl, Kohle und Kalk werden nicht von Kleinunternehmen, sondern von Großkonzernen gefördert. Deren Produktströme lassen sich international wesentlich einfacher kontrollieren und besteuern als etwa Möhren vom Biobauern. Mit dem Pariser Klimagipfel hat die Weltgemeinschaft ein hohes Maß an Einigkeit gezeigt. Ich bin deshalb optimistisch, dass auch schwierige Projekte wie die CO2-Steuer umsetzbar sind.   

 

Viele Energiewissenschaftler haben eine andere Auffassung.

Eine Mehrzahl meiner Kollegen glaubt in der Tat, dass staatliche Selbstverpflichtung und Planwirtschaft dem Klimawandel Einhalt gebieten können. Ich bin da skeptisch. Planwirtschaft funktioniert bei uns nicht einmal bei banalen Großbauten wie einem Hauptstadtflughafen in Berlin oder einem schwäbischen Bahnhof, geschweige denn beim Umbau eines hochkomplexen volkswirtschaftlichen Energiesystems. Ich gehöre zur Gruppe derer, die sicher sind, dass wir am besten mit Marktmechanismen einen großflächigen Wandel des Energiesystems hinbekommen. Ein preiswerter Mechanismus zur CO2-Vermeidung wäre beispielsweise die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen wie der Entfernungspauschale. Ich bin gegen eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen. Doch ich war überrascht, als sich kürzlich bei einer spontanen Umfrage nach meinem Vortrag in einer baden-württembergischen Kleinstadt 50 Prozent der Zuhörer für ein Tempolimit von 120 Kilometer pro Stunde auf Autobahnen aussprachen. Den Wunsch nach mehr Elektroautos in Deutschland halte ich dagegen zum jetzigen Zeitpunkt  für klimapolitisch grenzwertig: Man bezahlt für solche Fahrzeuge deutlich mehr und der dafür nötige Strom wird bei uns noch zu zwei Dritteln aus fossilen Quellen und Kernkraft erzeugt.

 

Sie sind gegen Elektroautos?

Ich bin ein großer Befürworter der Elektromobilität zu Land und sogar in der Luft. Allerdings nur, solange sie nicht durch Kaufprämien aus Steuergeldern subventioniert wird. In der öffentlichen Diskussion gelten der Kauf eines Elektroautos und die Installation einer batterieunterstützten Solaranlage als Musterbeispiele umweltfreundlichen Handelns. Darin steckt zwar ein Körnchen Wahrheit, aber die vielzitierte schwäbische Hausfrau würde einwenden: „Statt Geld für ein teures Elektroauto auszugeben, fahre ich lieber etwas langsamer. Da verbrauche ich weniger Benzin, erzeuge weniger CO2 und spare obendrein noch Geld.“

 

Da kommt es Ihnen wohl gerade recht, wenn die von der Bundesregierung erwünschte Zahl von einer Million Elektroautos bis 2020 nicht annähernd erreicht wird.

Diese Größenordnung habe ich immer kritisch gesehen – auch deshalb, weil ich der Meinung bin, dass in einer Marktwirtschaft der Staat nicht vorgeben soll, mit welchen Motoren die Bürger ihre Autos zu betreiben haben.

 

Wie sieht es mit dem Bestand von E-Dienstwagen im Direktorium des DLR aus?

DLR-Direktoren besitzen keine personengebundenen Dienstwagen, und mir ist auch niemand bekannt, der dienstlich ein Elektroauto fährt. Ich persönlich fahre mit meiner Bahncard 100 relativ umweltfreundlich im Zug, und wenn ich einmal ein Auto brauche, nehme ich mir einen Mietwagen.

 

Wie sähen denn Randbedingungen für Sie aus, um unsere Rohstoffversorgung zu dekarbonisieren?

Eines möchte ich vorausschicken: Der Verbrennungsmotor – ein beliebtes Feindbild jüngerer Energiedebatten – ist weder gut noch schlecht. Die Verbrennung von Kohlenwasserstoffen beeinflusst das Klima nämlich nur dann, wenn die Kohlenwasserstoffe aus fossilen Energieträgern stammen. Wenn man Verbrennungsmotoren mit erneuerbaren Kraftstoffen betreibt, gibt es das Problem der zusätzlichen CO2-Emission nicht. Am DLR-Institut für Technische Thermodynamik erforschen wir, wie sich Benzin aus erneuerbaren Energiequellen erzeugen lässt. Allerdings ist das gegenwärtig noch wesentlich teurer als herkömmlich produzierte fossile Treibstoffe. Was die Randbedingungen angeht, nützen deutsche Sonderwege nichts. Wir sollten bei der Dekarbonisierung europaweit vorgehen. Außerdem sollten wir Deutschen uns von klimaschädlichen Subventionen trennen. Die Entfernungspauschale habe ich bereits erwähnt. Der Kohleabbau in Deutschland wird heute noch subventioniert – nach meiner Einschätzung ein klimapolitisch fragwürdiges Signal an die Weltgemeinschaft.

 

Subventionen sind für Sie ein rotes Tuch?

Zeitlich begrenzte Subventionen können einer innovativen Technologie auf die Sprünge helfen. Doch die Marktwirtschaft funktioniert nach meiner Einschätzung grundsätzlich besser als staatliche Planwirtschaft und Dauersubventionen. Telefon- und Kursbücher sind ja nicht deswegen verschwunden, weil der Staat sie verboten oder Smartphones subventioniert hat. Sie verschwanden ganz einfach deshalb, weil diese Dienstleitungen durch das Mobiltelefon preiswerter, aktueller und exakter angeboten werden. Wenn wir marktwirtschaftliche Mechanismen aktivieren, die fossilen Energieträger entsprechend ihren tatsächlichen Kosten durch CO2-Zertifikate oder Steuern verteuern und gleichzeitig dafür sorgen, dass erneuerbare Energien durch Forschung und Entwicklung preiswerter werden, wird ein Kohlekraftwerk bald genauso obsolet wie das Telefonbuch.

 

Bis wann können wir unser Energiesystem nachhaltig umstellen?

Ich bin davon überzeugt, dass wir Wissenschaftler das Energiesystem des Jahres 2050 nicht im Einzelnen vorhersagen können.  Was wir jedoch vorhersehen können, sind die technologischen Entwicklungen der nächsten fünf bis zehn Jahre. Der Preis für Batterien einer bestimmten Leistung wird sich in dieser Zeit vermutlich halbieren. Und wir können vorhersehen, dass neue leistungsstarke Energiespeicher, zum Beispiel Druckluftspeicherkraftwerke, dann nicht mehr teurer sind als Pumpspeicherwerke. Doch ein fundamentaler Wandel in unserem Energiesystem lässt sich aus solchen Einzelentwicklungen erst ableiten, wenn alle innovativen Technologien zusammenspielen.

 

Was ist dann von Wissenschaftlern zu halten, die Szenarien für 2050 entwickeln? Betreiben sie Kaffeesatzleserei?

Energieszenarien für 2050 sind ein wichtiges Instrument der Energieforschung, das auch wir benutzen. Man darf ihren Urhebern nicht den Vorwurf machen, unseriös zu arbeiten. Kritisieren könnte man allenfalls, dass wir Energieforscher zuweilen nicht verständlich genug an die Bevölkerung kommuniziert haben, was ein Szenario eigentlich ist. Dabei handelt es sich keineswegs um eine Vorhersage, sondern um eine Zielvorstellung und ihre Konsequenzen. Ein Szenario macht keine Aussage darüber, ob das Ziel tatsächlich erreicht wird.

 

Geht das verständlicher?

Gern. Wenn sich Reiner Calmund ein Buch „Trainingspläne für Marathonläufer“ zulegt,  kann er genau nachschauen, wie er trainieren muss, um nach einem Jahr den Marathon in vier Stunden zurückzulegen. Das wäre das Szenario. Ob er das dann trotz seines Körpergewichts und seiner Liebe zu gutem Essen auch schafft, steht auf einem anderen Blatt. Unsere Gesellschaft ist süchtig nach fossilen Energieträgern. Es lässt sich berechnen, was wir tun müssten, um davon loszukommen. Doch ob wir die Sucht wirklich loswerden und zu welchem Preis, können wir heute nur in Ansätzen sagen.

 

Das Gespräch führten Ralf Butscher und Wolfgang Hess

Bildnachweis

Portrait André Thess: DLR/F. Eppler